Michael Nyman

Michael Nyman

geboren am 23.3.1944 in London, England, Grossbritannien

Michael Nyman

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Michael Nyman CBE (* 23. März 1944 in London) ist ein englischer Komponist, der einer breiten Öffentlichkeit vor allem durch seine Musik für den Film Das Piano (The Piano) bekannt ist.

Leben

Nyman studierte unter anderem Klavier und Musikgeschichte am Royal College of Music und am Kings College London. Weil er die damals vorherrschende atonale zeitgenössische Musik ablehnte, gab Nyman 1964 das Komponieren auf und arbeitete als Musikwissenschaftler. In einer 1968 veröffentlichten Kritik von Cornelius Cardews The Great Digest verwendete er als erster den Begriff Minimalismus für eine neue musikalische Stilrichtung, die vor allem durch die Komponisten Steve Reich und Philip Glass vertreten wurde.

Reichs Komposition Come Out beeindruckte ihn derart, dass er zur praktischen Musikausübung zurückfand: 1968 schrieb er das Libretto zu Harrison Birtwistles Down by the Greenwood Side. Es war auch Birtwistle, der Nyman bat für eine Bühnenproduktion von Il Campiello venezianische Lieder des 18. Jahrhunderts zu bearbeiten. Zu diesem Zweck gründete Nyman 1976 die lauteste, elektronisch unverstärkte Straßenband[1], die man sich vorstellen konnte, die Campiello Band, deren Musik teils auf alten Instrumenten wie der Schalmei, teils auf modernen Instrumenten wie dem Saxophon gespielt wurde. Nymans Ziel war es, so laut wie möglich zu spielen ohne elektronische Verstärkung zu benutzen.

Nyman hielt die Gruppe nach dem Auslaufen des Schauspiels zusammen, fügte ihr sein eigenes Klavierspiel hinzu und schrieb für sie In Re Don Giovanni, eine Variation über 16 Takte von Wolfgang Amadeus Mozart. Er setzte nun auch elektronische Verstärkung ein und benannte die Formation um in Michael Nyman Band. Fast alle Stücke Nymans, ob für Sinfonieorchester, Chor oder Streichquartett geschrieben, werden zuerst in dieser Band ausprobiert.

Nyman wurde der Öffentlichkeit vor allem vertraut als Filmkomponist, insbesondere für die Filme von Peter Greenaway, aber auch kommerziellere Produktionen wie Gattaca, Das Ende einer Affäre (The End of an Affair) und vor allem Jane Campions Das Piano (The Piano), seinem größten kommerziellen Erfolg.

1974 veröffentlichte Nyman ein einflussreiches Buch über experimentelle Musik (Experimental Music: Cage and Beyond), in dem er den Einfluss John Cages auf die zeitgenössische Musik untersucht. Nyman, vielleicht einer der humorvollsten aller Komponisten klassischer Musik, war Mitglied der berüchtigten Portsmouth Sinfonia, dem laut Selbstbeschreibung weltschlechtesten Orchesters, das vor allem Rock- und Pop-Klassiker wie Bridge over Troubled Water genussvoll variierte und dekonstruierte. Nyman gründete ein ähnliches Orchester namens Foster's Social Orchestra, das sich auf die Musik Stephen Fosters konzentrierte. Er hat auch Popmusik selber eingespielt, etwa mit den Flying Lizards.

Um seine Werke unabhängig veröffentlichen zu können, gründete Nyman im Mai 2005 sein eigenes Plattenlabel MN Records.

Werk

Michael Nymans Musik gründet in der Ablehnung der zeitgenössischen Musik, die er vorfand: Als Student [...] schrieb ich im Stil von Paul Hindemith und Dimitri Schostakowitsch. Dann kam ich in Kontakt mit der Manchester Schule Peter Maxwell Davies, Harrison Birtwistle und Alexander Goehr und es war nicht nur ein absolutes Gebot, serielle Musik zu schreiben, sondern auch alle andere Musik, die nicht seriell war, als die Musik von Idioten zu betrachten. [...] ich schrieb nicht eine einzige Note von 1964 bis 1976, weil ich mich nicht damit abfinden konnte, serielle Musik zu schreiben.[2]

Die Begegnung mit den amerikanischen Pionieren der Minimal Music führte Nyman zurück zur Musik, jedoch mit einem wesentlichen Unterschied: Während die Amerikaner ohne Vorbilder genau kontrollierte Formsysteme benutzten, ging Nyman bei seinen weniger eingeengten Kompositionen vom Vorbild der westlichen Musiktradition aus, um ausdrücklich schöne Musik zu schaffen.[3]

Komponisten, deren Werke Nyman oft augenzwinkernd als Ausgangspunkt für eigene Kompositionen sieht, sind etwa Wolfgang Amadeus Mozart (In Re Don Giovanni, Drowning By Numbers), Henry Purcell (The Draughtman's Contract), Heinrich Ignaz Franz Biber (A Zed and Two Noughts), John Dowland (Prospero's Books) und Anton Webern (Five Orchestral Pieces for Opus Tree). Nyman kombiniert hier musikgeschichtliche Zitate, avantgardistische Form und Eingängigkeit.

Nach einem festen Verfahren wählt Nyman [...] sehr kurze wörtliche Zitate aus der klassischen Vorlage und unterwirft sie einer minimalistischen Repetition. Die tonale Orientierung bleibt erhalten, verändert wird jedoch die harmonische Fortschreitung. Schließlich fehlen ganze Takte des Ausgangsmaterials und die harmonischen Stufen stehen unvermittelt nebeneinander, statt logisch einer Kadenz zu folgen.[4] Das Ergebnis ist Musik, die für Eingeweihte wie für musikhistorisch ungebildete Hörer gleichermaßen Reiz besitzt, da sie einerseits intelligent mit der Tradition spielt, aber andererseits nie atonal wird.

In den vergangenen Jahren hat sich Nyman wieder verstärkt der Kunstmusik zugewandt. So wurden beispielsweise in Zusammenarbeit mit dem Badischen Staatstheater in Karlsruhe zwischen 2002 und 2005 drei Opern uraufgeführt: 2002 Facing Goya, 2004 Man and Boy: DaDa (Text von Michael Hastings) und 2005 Love Counts (Text von Michael Hastings).

Auf dem Berliner MaerzMusik-Festival für aktuelle Musik 2011 stellte Nyman in der Berliner Volksbühne seine Neuvertonung von Dziga Vertovs Film Ein Sechstel der Erde vor und erntete dafür viel Applaus.[5]

Nyman ist das Gegenteil des Komponisten im Elfenbeinturm: Er hat keine Berührungsängste, vor allem nicht mit den neuen Medien. Er schrieb nicht nur eine Reihe populärer Filmmusiken, sondern sogar Kompositionen für eine Modenschau Yohji Yamamotos und für das Computerspiel Enemy Zero.

Werke (Auswahl)

Filmmusik
  • 1982: Der Kontrakt des Zeichners (The Draughtmans Contract)
  • 1986: The Man Who Mistook His Wife for a Hat
  • 1987: Das Wunder des Papu (Le miraculé)
  • 1988: Verschwörung der Frauen (Drowning By Numbers)
  • 1989: Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber (The Cook, the Thief, His Wife & Her Lover)
  • 1989: Die Verlobung des Monsieur Hire (Monsieur Hire)
  • 1990: Der Mann der Friseuse (Le Mari de la coiffeuse)
  • 1991: Prosperos Bücher (Prospero's Books)
  • 1993: Das Piano (The Piano)
  • 1994: Carrington
  • 1994: Mesmer
  • 1996: Der Unhold (The Ogre)
  • 1997: Gattaca
  • 1999: Das Ende einer Affäre (The End of the Affair)
  • 1999: Ravenous Friss oder stirb (Ravenous)
  • 1999: Wonderland
  • 2001: Das Reich und die Herrlichkeit (The Claim)
  • 2001: Man with a Movie Camera
  • 2003: The Actors
  • 2003: Nathalie (Nathalie)
  • 2005: The Libertine
  • 2008: Man on Wire
Weitere Werke
  • 1977: In Re Don Giovanni
  • 1985: Streichquartett Nr. 1
  • 1988: Streichquartett Nr. 2
  • 1985: A Zed and Two Noughts
  • 1990: Streichquartett Nr. 3
  • 1993: The Piano Concerto (Klavierkonzert)
  • 1994: Streichquartett Nr. 4
  • 1994: MGV (Musique à Grande Vitesse)
  • 1995: Konzert für Cembalo und Streicher
  • 1995: Konzert für Posaune und Orchester
  • 1997: Concertos
  • 1997: Enemy Zero (Videospiel)
  • 1999: The Commissar Vanishes, zu David Kings gleichnamigem Buch
  • 2000: Facing Goya
  • 2003: Gattaca for Orchestra
  • 2003: Violinkonzert
  • 2003: Man and Boy: Dada
  • 2004: Acts of Beauty
  • 2005: Love Counts

Auszeichnungen und Nominierungen (Auswahl)

  • 1990: Nominiert César, Kategorie Best Music Written for a Film (Meilleure musique) für Monsieur Hire (deutsch: Die Verlobung des Monsieur Hire)
  • 1993: Preisträger AFI Award, Kategorie Best Original Music Score für The Piano
  • 1994: Nominiert für den BAFTA Award, Kategorie Best Score für The Piano
  • 1994: Nominiert Golden Globe, Kategorie Best Original Score - Motion Picture für The Piano
  • 1994: Preisträger CFCA Award, Kategorie Best Score für The Piano
  • 1998: Nominiert Golden Globe, Kategorie Best Original Score - Motion Picture für Gattaca
  • 2000: Nominiert BAFTA Awards, Preis Anthony Asquith Award for Film Music für The End of the Affair
  • 2000: Nominiert Golden Globe, Kategorie Best Original Score - Motion Picture für The End of the Affair[6]

Film

  • Michael Nyman - Composer in Progress. Dokumentarfilm, Deutschland, 2010, 50 Min., Regie: Silvia Beck, Produktion: Arthaus Musik, Besprechung von kino-zeit.de.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Biography auf michaelnyman.com
  2. Interview Michael Nyman in K. Robert Schwarz: Minimalists, London 1996, ISBN 978-0714847733, S. 195f.
  3. Michael Nyman: Experimental Music. Cage and Beyond, Schirmer Books, New York 1974, ISBN 0-02-871200-5, S. 135f.
  4. Michael Nymans Musik als Musikgeschichte von Volker Straebel, 1999
  5. estaja ast mira. Ein Sechstel der Erde. Film von Dziga Vertov (1926) auf berlinerfestspiele.de, 2011
  6. Vollständige Aufstellung: Awards for Michael Nyman, IMDb, abgerufen am 2. Oktober 2012.
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Diese Seite wurde zuletzt geändert am 20.05.2014 07:13:58

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