Boris Blacher

Boris Blacher

geboren am 13.1.1903 in Niuzhuang (Yijngkou), Liaoning, China, Volksrepublik

gestorben am 30.1.1975 in Berlin, Berlin, Deutschland

Boris Blacher

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Boris Blacher (* 5. Januarjul. / 18. Januar 1903greg. in Newchwang (chin. , Niúzhung, heute: Yingkou), China; 30. Januar 1975 in Berlin) war ein deutsch-baltischer Komponist, Librettist und einflussreicher Kompositionslehrer.

Leben

Boris Blachers Kindheit und Jugend sind geprägt von häufigen Ortswechseln seiner Eltern (sein Vater stammte aus Reval (Tallinn) und übernahm als Direktor einer russisch-deutschen Bank Führungspositionen in China, Sibirien und der Mandschurei). Blacher verbrachte die Schulzeit in Chefoo, Hankau, Irkutsk und Harbin. Entsprechend vielsprachig (deutsch, russisch, englisch, chinesisch, italienisch) und multikulturell wuchs er auf.[1] In seinem großbürgerlichen Elternhaus kommt er schon früh mit Musik in Berührung[2] und erhält Klavier- und Geigenunterricht. Schon als Schüler zeigt er Interesse am Musiktheater und lernt den Opernbetrieb auch von innen kennen; zunächst als freiwilliger Beleuchter an den jeweiligen Provinzbühnen, später als Arrangeur, indem er Klavierauszüge beispielsweise von Puccinis Tosca zu kompletten Orchesterpartituren umschreibt.[3]

1922 kommt er über Shanghai und Paris nach Berlin. Die kulturelle Vielfalt der Stadt fasziniert ihn so sehr, dass er zeitlebens dort wohnen bleibt. Zunächst schreibt er sich an der Technischen Hochschule in Architektur und Mathematik ein, wechselt jedoch bereits 1924 zur Musikhochschule. Dort belegt er die Fächer Komposition (bei Friedrich Ernst Koch)[4] und Musikwissenschaft (bei Arnold Schering, Friedrich Blume und Erich Moritz von Hornbostel). Gleichzeitig entstehen erste Kompositionen (1925 Musik zu einem Bismarck-Film, 1927 Drei Stücke für Flöte, zwei Klarinetten und Schlagzeug, 1929 die dadaistische Kammeroper Habemeajaja). In der Folgezeit lebt er von privater Lehrtätigkeit, schreibt Unterhaltungsmusik und Arrangements und arbeitet als Stummfilmbegleiter am Klavier.

Werk

1937 schafft er den Durchbruch mit seiner von den Berliner Philharmonikern unter Carl Schuricht uraufgeführten Komposition Concertante Musik für Orchester.[5] Ebenfalls 1937 schrieb er sein Divertimento: Intrada - Marsch op.7 für Blasorchester und kommentiert: In meinem Divertimento, das ich im Auftrage des Reichsluftfahrtministeriums geschrieben haben, schwebte mir ein Stil vor, der die disziplinierte Strenge des allgemein Militärischen mit dem technischen Charakter der Luftwaffe verbindet.[6]

Nach einem von Karl Böhm (1894-1981) vermittelten Lehrauftrag am Dresdener Konservatorium, der ihm 1939 wieder entzogen wird, weil er sich für die damals unerwünschte Musik von Schönberg, Hindemith und Milhaud einsetzt, beginnt für Blacher ein Rückzug ins Private.[7] Unter den (wenigen) modernen Komponisten, die während des Nationalsozialismus gespielt wurden, gehört Blacher zu den meist aufgeführten.

Nach Diktatur und Krieg hat er gleich mit mehreren Kompositionen Erfolg, u. a. mit den Variationen über ein Thema von Paganini, die ihn auch bei einem breiteren Publikum schlagartig berühmt machen. Ab 1945 leitet er eine Kompositionsklasse an dem von Josef Rufer gegründeten Internationalen Institut für Musik in Berlin-Zehlendorf. 1948 erhält er einen Lehrstuhl für Komposition an der Berliner Hochschule für Musik (heute eine Fakultät der UdK Berlin). 1953 wurde er, als Nachfolger Werner Egks, zu deren Präsident ernannt.[8] Beide Positionen hatte er bis 1970 inne. Daneben bekleidete Blacher eine Fülle von kulturpolitischen Ämtern und war von 1968 bis 1971 Präsident der Berliner Akademie der Künste (deren Gründungsmitglied und Vizepräsident er seit 1956 bereits war).[9] Ab 1966 war er zudem Korrespondierendes Mitglied der Deutschen Akademie der Künste in Berlin (Ost).

Boris Blacher hinterließ ein vielgestaltiges, abwechslungsreiches Werk, das mit Ausnahme liturgischer Musik fast alle musikalischen Genres und Stilgattungen umfasst.[10] So schrieb er unter anderem 14 Opern, 9 Ballettmusiken (in enger Zusammenarbeit mit Tatjana Gsovsky),[11] Solokonzerte für Klavier (3), Violine, Viola, Violoncello, Trompete und Klarinette, sowie Kantaten, Chorwerke, Sinfonien, Kammermusik und Lieder.

Wirkung

Boris Blacher gehörte in den Jahren von 1945 bis 1975 zu den meistbeachteten und am häufigsten aufgeführten zeitgenössischen Komponisten in Deutschland. Insbesondere als Kompositionslehrer muss er als eine der wichtigsten und einflussreichsten Persönlichkeiten der Musik des 20. Jahrhunderts angesehen werden.

Bei seinen eigenen, oft ironisch distanzierten Werken benutzte er unter anderem ein von ihm entwickeltes System sog. variabler Metren, um musikalische Form und rhythmische Symmetrie mit zahlreichen, arithmetisch aufgebauten Taktwechseln zu durchbrechen.[12] Obwohl überwiegend atonal komponierend, klingt seine Musik in hohem Maße verständlich. Sie ist gekennzeichnet durch tänzerische Leichtigkeit, klare Strukturen, geistreich-elegante Instrumentierung und pointierten Witz. Durch eine nahezu asketisch verschlankte Schreibweise ist sie frei von jedem falschen Pathos.

Ab 1960 wendet sich Blacher (in Kooperation mit dem Elektronik-Studio der TU Berlin) intensiv auch elektronisch erzeugter Musik zu[13] und bezieht sie in sein umfangreiches Oeuvre ein. Zeitlebens an Jazz interessiert, war er überdies stets offen für alle Strömungen und Tendenzen Neuer Musik. Er vertrat dies immer auch seinen Schülern gegenüber, die aus allen Teilen der Welt zu ihm kamen. Die Liste seiner ehemaligen Studenten liest sich wie ein Who-is-who der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bekannten und bedeutenden internationalen Komponistengeneration. Zu ihnen zählten z. B. Gottfried von Einem, Heimo Erbse, Fritz Geißler, Günter Kochan, Rudolf Kelterborn, Giselher Klebe, Peter Ronnefeld, Heinz von Cramer, Thomas Kessler, Francis Burt, Isang Yun, Max Baumann, Claude Ballif, Hans Eugen Frischknecht, Maki Ishii, Noam Sheriff, George Crumb, Kalevi Aho, Klaus Huber und Aribert Reimann. Auch der Dirigent Herbert Kegel war ein Schüler von Blacher.

Neben seiner Professur in Berlin lehrte Blacher auch im Rahmen von Meisterkursen in Bryanstone (UK), Tanglewood (USA) und am Salzburger Mozarteum.[14]

Ehrungen

1957 wurde Blacher mit dem Bach-Preis der Freien und Hansestadt Hamburg ausgezeichnet, 1959 mit dem Großen Bundesverdienstkreuz, 1960 erhielt er den Musikpreis der Stadt Köln, 1963 die Richard-Strauss-Medaille, 1965 den Deutschen Kritikerpreis, 1973 die Ernst-Reuter-Plakette. 1974 wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Universität Cork verliehen. Im selben Jahr erhielt er auch das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst.

Familie

Boris Blacher war verheiratet mit der Konzertpianistin Gerty Herzog. Aus dieser Ehe gingen vier Kinder hervor, von denen zwei Künstler wurden. Der jüngste Sohn Kolja Blacher, ein bedeutender Geiger und Professor an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg (ab Frühjahr 2009 an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin), war in den neunziger Jahren unter Claudio Abbado jüngster Erster Konzertmeister der Berliner Philharmoniker. Die Tochter Tatjana Blacher hat sich als Schauspielerin einen Namen gemacht.

Boris Blacher hat die meiste Zeit seines Berliner Lebens in Zehlendorf gewohnt und wurde in einem Ehrengrab auf dem Waldfriedhof Zehlendorf beigesetzt.

Werke (Auswahl)

Opern

  • Habemeajaja. Kammeroper (1929) UA: 1987
  • Fürstin Tarakanowa. Oper (1940)
  • Romeo und Julia. Kammeroper (1943) UA: 1950 Salzburger Festspiele
  • Die Flut. Oper (UA 1946 als Funkoper, 1947 in der Bühnenfassung)
  • Die Nachtschwalbe, Dramatisches Nocturno (UA 1948)
  • Preußisches Märchen. Ballett-Oper (1949, UA 1952)
  • Abstrakte Oper Nr. 1 (1953/57)
  • Rosamunde Floris. Oper (1960)
  • Zwischenfälle bei einer Notlandung. Oper (1964)
  • Ariadne. Kurzoper (1968)
  • Zweihunderttausend Taler. Oper (1969)
  • Yvonne, Prinzessin von Burgund. Oper (1973)

Libretti für andere Komponisten

  • Der Prozess (Libretto zur Oper von Gottfried von Einem, zusammen mit Heinz von Cramer, 1953)
  • Dantons Tod (Libretto zur Oper von Gottfried von Einem, zusammen mit diesem, 1947)

Ballette

  • Fest im Süden. Tanzdrama (1935)
  • Chiarina. Ballett (1946)
  • Hamlet. Ballett (1949)
  • Lysistrata. Ballett (1950)
  • Tristan. Ballett (1965)

Chorwerke

  • Gesang der Rotationsmaschinen für gemischten Chor (1930)
  • Der Großinquisitor. Oratorium für Bariton, Chor und Orchester nach Dostojewskis Legende vom Großinquisitor (1942, UA 1947)
  • Requiem (1958)

Orchesterwerke

  • Concerto für 2 Trompeten und 2 Streichorchester (1931)
  • Kleine Marschmusik für Orchester (1932)
  • Kurmusik für kleines Orchester (1933)
  • Divertimento für Streichorchester (1935)
  • Divertimento für sinfonisches Blasorchester (1936)
  • Concertante Musik für Orchester (1937)
  • Rondo für Orchester (1938)
  • La Vie. Tanzszenen für Orchester (1938)
  • Estnische Tänze für 10 Bläser (1938)
  • Hamlet. Sinf. Dichtung für großes Orchester (1940)
  • Symphonie Nr. 2 in D (1942)
  • Partita für Streicher und Schlagzeug (1945)
  • Erstes Klavierkonzert (1947)
  • Paganini-Variationen für Orchester (1947)
  • Konzert für Violine und Orchester (1948)
  • Zweites Klavierkonzert (in variablen Metren) (1952)
  • Konzert für Bratsche u. Orchester (1954)
  • Zwei Inventionen für Orchester (1954)
  • Hommage à Mozart (1956)
  • Music for Cleveland (1957)
  • Musik für Osaka (1970)
  • Konzert für Klarinette und Kammerorchester (1971)
  • Poème für großes Orchester (1974)

Sonstige Musik

  • Jazz-Koloraturen für Sopran, Altsaxophon und Fagott (1929)
  • I. Streichquartett (1929)
  • Ornamente. Sieben Studien über variable Metren für Klavier (1950)
  • Sonate für Violine solo (1951)
  • Epitaph, IV. Streichquartett (1951)
  • Aprèslude. Vier Lieder nach Gottfried Benn (1958)
  • Jüdische Chronik. (Gemeinschaftskomposition mit Paul Dessau, Karl Amadeus Hartmann, Hans Werner Henze und Rudolf Wagner-Régeny, 1961)
  • Multiple Raumperspektiven für Klavier und drei Klangerzeuger (1962)
  • Studie in Schwarz (1962)
  • Glissierende Deviationen (1962)
  • Der Astronaut. Major Cooper umkreist die Erde. Elektronische Raumstudie (1963)
  • Skalen 2:3:4 (1964)
  • Variationen über ± 1 für Streichquartett und Jazz-Combo (1966)
  • Variationen über einen divergierenden c-moll-Dreiklang, V. Streichquartett (1967)
  • Blues, Espagnola und Rumba philharmonica für 12 Violoncelli soli (1972)
  • Variationen über eine Tonleiter für Solovioline (Thema + 5 Variationen + Coda) (1973)
  • 24 Préludes für Klavier (1974)

Literatur

  • Heribert Henrich, Thomas Eickhoff: Boris Blacher. Hofheim, 2003. ISBN 3-936000-20-4
  • Heribert Henrich u. a.: Boris Blacher 1903-1975. Dokumente zu Leben und Werk. Berlin 1993, ISBN 3-89487-171-7
  • Jürgen Hunkemöller: Boris Blacher, der Jazz-Komponist. Frankfurt/M. 1998, ISBN 3-631-31925-8
  • Stephan Mösch: Der gebrauchte Text. Studien zu den Libretti Boris Blachers. Stuttgart, Weimar 2002, ISBN 3-476-45305-7
  • Hannes Reinhardt (Hg.): Das Selbstportrait. Hamburg 1967; darin: Boris Blacher Ein Selbstportrait, S. 15-31.
  • Hanns Heinz Stuckenschmidt: Boris Blacher. Berlin 1985, ISBN 3-7931-1391-4

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Boris Blacher, Ein Selbstportrait in: Reinhardt, a.a.O., S. 22
  2. Boris Blacher, Damals in Chefoo in: Stuckenschmidt, a.a.O., S. 12
  3. Boris Blacher, Ein Selbstportrait in: Reinhardt, a.a.O., S. 23
  4. Henrich, a.a.O., S. 67
  5. Mösch, a.a.O., S. 347
  6. Fred K. Prieberg: Handbuch Deutsche Musiker 1933-1945, CD-ROM-Lexikon, Kiel 2004, S.472.
  7. Henrich, a.a.O., S. 79
  8. Henrich, a.a.O., S. 89
  9. Mösch, a.a.O., S. 352
  10. vgl. Harald Kunz in: Stuckenschmidt, a.a.O., S. 58 ff.
  11. vgl. Christiane Theobald, Boris Blacher und Tatjana Gsovsky in: Henrich, a.a.O., S. 38 f.
  12. vgl. Christopher Grafschmidt, Variable Metrik in: Henrich, a.a.O., S. 42 ff.
  13. Mösch, a.a.O., S. 352
  14. Stuckenschmidt, a.a.O., S. 43
  15. Ehrengrabstätten Berlin
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